Die Folge erklärt, warum Unternehmen keinen 360-Grad-Blick auf ihre Kunden brauchen, sondern vorhandene Kundendaten gezielt nutzen sollten, um echte Beziehungen durch sinnvolle, individuelle Interaktionen aufzubauen.

In dieser Episode wird mit dem weitverbreiteten Mythos des 360-Grad-Blicks auf den Kunden aufgeräumt. Dr. Oliver Ratajczak berichtet, wie der Begriff „360-Grad-Blick“ ursprünglich sogar aus eigenen Projekten stammt, heute jedoch als überzogen und in der Praxis meist unerreichbar gilt. Viele Unternehmen sehnen sich nach der „eierlegenden Wollmilchsau“ im Kunden-Management, meist in Form komplexer CRM-Systeme, die angeblich alle nur erdenklichen Kundendaten zentral und vollständig aggregieren. Die vermeintliche Voraussetzung: Nur mit einem lückenlosen Bild lasse sich perfekte Kundenbindung und optimaler Vertrieb realisieren.

Der Praxis-Test zeigt allerdings: Der tatsächliche Bedarf an Informationen ist viel geringer als suggeriert und variiert je nach Unternehmensbereich. Ob Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb oder Unternehmensleitung – jede Abteilung versteht unter dem 360-Grad-Blick etwas anderes, meist geht es um wenige, relevante Datenfelder und nicht um vollständige Transparenz über das Privatleben der Kunden.

Häufig wird der Wunsch nach dem perfekten Kundendaten-System zur Ausrede, um Aktionen im Hier und Jetzt aufzuschieben: Es fehlt angeblich etwas, damit man endlich gezielt mit den Kunden arbeiten kann. Doch in Wahrheit liegen bereits zahlreiche, oft ungenutzte Kundendaten in verschiedenen Systemen wie Adressverwaltungen, Vertragsarchiven, Newsletter-Tools, ERP-Lösungen oder Web-Analyse-Anwendungen vor – vorausgesetzt, sie sind datenschutzkonform erhoben worden.

Deshalb der Appell: Nicht abwarten, bis das perfekte CRM-System mit allen Schnittstellen irgendwann fertig ist, sondern jetzt mit den vorhandenen Daten loslegen! Es geht nicht um Masse, sondern um Klasse: Individuelle, überlegte Interaktionen an den wirklich relevanten Kontaktpunkten eines Kundenlebenslaufes schlagen jede Massenkampagne. Entscheidend ist die „Beziehung“ im Sinne von Kundenbeziehungs-Management. Wie in einer persönlichen Beziehung zählen die kleinen, passenden Anlässe, die spezifische Wertschätzung und Timing – nicht das Gießkannenprinzip. Ein einfaches Beispiel: Wer den Vornamen kennt, könnte unkompliziert zum Namenstag gratulieren und so eine persönliche Bindung schaffen.

Auch große Konzerne blockieren sich oft mit dem Gedanken, erst müsse ein gigantisches System geschaffen werden, bevor individuelle Kundenansprache gelingen könne. Mittelständler und Startups zeigen oft, dass Pragmatismus und kluge Analyse der vorhandenen Kontaktpunkte ausreichen, um sinnvolle Maßnahmen zu entwickeln: Welche Touchpoints gibt es im Unternehmen? Wo finden tatsächlich Begegnungen oder Transaktionen mit dem Kunden statt? Wieso wird jetzt gerade ein Mailing verschickt – hat es einen echten Mehrwert für den Empfänger, oder wird nur internes Budget „verbrannt“?

Statt Standard-Mails an hunderttausende Kunden zu senden, sollten besser automatisierte, individuelle Nachrichten an kleinen Kundensegmenten zum richtigen Zeitpunkt verschickt werden – beispielsweise nach einem spezifischen Ereignis wie Vertragsabschluss. So wird der Kunde nicht mit irrelevanten Informationen verärgert, sondern gezielt und positiv angesprochen.

Zusammengefasst: Unternehmertum im Kundenkontakt braucht keinen 360-Grad-Überblick, sondern die Bereitschaft, mit bestehenden Daten aktiv echte Beziehungen zu gestalten. Wichtiger als die „Vollüberwachung“ des Kunden ist das systematische Erfassen und Nutzen der bereits vorhandenen Daten zur bedarfsgerechten Kommunikation und individuellen Betreuung. So entsteht nachhaltige Kundenbindung durch echte Interaktion, nicht durch Datensammelwut.

erschienen in der Folge 18 im Unternehmenschemie-Podcast von und mit Dr. Oliver Ratajczak

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Dr. Oliver Ratajczak
Ratgeber für profitable Kundenbeziehungen und gute Unternehmenschemie bei  | oliver@deine-kundenbrille.de | unternehmenschemie.de

Mit über 25 Jahren internationaler Beratungserfahrung unterstützt Oliver mittelständische Geschäftsführer dabei, ihre Profitabilität zu steigern, Innovationspotenziale zu erschließen und wertvolles Wissen im Unternehmen nutzbar zu machen. Sein Fokus: praxisnahe Lösungen, die wirken – nicht nur auf dem Papier, sondern im Tagesgeschäft. Als Keynote-Speaker und Gastgeber des Unternehmenschemie-Podcasts teilt er regelmäßig erprobte Strategien und Impulse aus der Praxis. Du möchtest konkrete Herausforderungen angehen? Dann sprich Oliver einfach an.